Schuldruckschriften
Im heutigen Artikel gehen wir auf die Schuldruckschrift oder Fibelschrift ein. Zum besseren Verständnis: Druckschrift oder Fibelschrift ist die Schriftart, die in den Schulbüchern benutzt wird und womit die Kinder Lesen lernen. Druckschrift oder Fibelschrift unterscheidet sich von den verschiedenen Ausgangsschriften. Ausgangsschriften sind zum Schreibenlernen. Es wird momentan darüber diskutiert, ob es noch sinnvoll ist, den Kindern Schreibschrift beizubringen. Aber das ist eine andere Diskussion.
Kehren wir zur Leserlichkeit der Schuldruckschriften zurück. Im “Wegweiser Schrift” erklärt Hans Peter Willberg, dass beim Lesen nicht nur die Schrift, sondern auch die physischen und psychischen Bedingungen eine Rolle spielen. Daher sei es umso wichtiger, dass für die jeweilige Aufgabe die richtige Schrift gewählt wird. In Bezug aufs Lesenlernen bedeutet dies:
- eindeutige Buchstabenformen
- Wortbilder sollen unmissverständlich sein.
- Das Auge soll durch die Zeile geführt werden.
- Schriftgröße, Zeilenlänge und Duktus sollen aufeinander abgestimmt sein.
- Buchstaben- und Wortabstand sollen richtig abgestimmt sein
Wie wichtig eindeutige Buchstabenformen auch für legasthene Kinder sind, haben wir in dieser Blogreihe schon öfters betont. Willberg stellt folgende Faustregel auf: “Nicht die einfachsten, sondern die eindeutigsten Buchstabenformen sind am besten zu lesen.”
Wie sehen die Schuldruckschriften aus? Auch wenn sich die Schuldruckschriften in Deutschland, Österreich und in der Schweiz leicht voneinander unterscheiden, so sind es alle serifenlose Schriften. In einer serifenlosen Schrift haben die Buchstabenenden keine Querstriche. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass legasthene Menschen serifenlose Schriften bevorzugen. Das wäre ein positiver Punkt der Schuldruckschriften. Positiv ist auch, dass das große “I” und das kleine “l” (mehr oder weniger) gut zu unterscheiden sind.
Was gespiegelte Buchstaben angeht, fallen die Schuldruckschriften aber alle durch, denn “b”, “d”, “p” und “q” sind alle Spiegelungen voneinander. Gerade diese Buchstaben bereiten nicht nur legasthenen Kindern große Schwierigkeiten. Der Kognitionsforscher Stanislas Dehaene hat gezeigt, dass diese Buchstaben für Kinder aufgrund ihrer Hirnstruktur gleich sind. Dass dies vier verschiedene Buchstaben sind, müssen die Kinder mühsam erlernen. Man kann dies sehr einfach mit der Evolutionsgeschichte erklären: Für das Gehirn ist es egal, ob ein Tier von rechts oder links angreift, es ist immer das gleiche Tier.
Daher ist es unverständlich, dass gerade Schuldruckschriften, mit denen Kinder Lesen lernen, gespiegelte Buchstaben haben.
Typografen wie Otl Aicher oder Herman Zapf haben sich Gedanken über gut leserliche Schriften gemacht. So hat Otl Aicher die Rotis entwickelt, bei der die Buchstaben alle gleich breit sind. Das beruhige seiner Meinung nach die Wortbilder und führe zu einer besseren Leserlichkeit. Bei der Optima von Hermann Zapf dagegen ist die Breite der Buchstaben unterschiedlich, wodurch die Wortbilder besser voneinander unterschieden werden können.
Eines ist sicher: Die Schuldruckschriften sind (aus typografischer Sicht) nur bedingt geeignet, Kindern ein frustfreies Lernen zu ermöglichen. Dass es auch Alternativen gibt, haben wir in dieser Blogreihe schon gezeigt.
Ein weiterer negativer Aspekt der Schuldruckschriften ist, dass sie nicht zur freien Verfügung stehen. Die Schuldruckschriften sind von verschiedenen Verlagen streng lizenziert und dürfen nicht nach Belieben verbreitet werden. Allerdings gibt es ähnliche Schriften, die zur freien Verfügung stehen und die von Lehrkräften benutzt werden können. Auch einige Verlage bieten Schulschriften, z.B. ET Verlag und Will Software.
Dennoch, auch hier gilt wiederum: Wer Arbeitsblätter und Lesematerial für legasthene Kinder erstellt, sollte eine Schriftart verwenden, bei der alle Buchstaben eindeutig unterschieden werden können, wie Andika Basic, Lexia Readable oder OpenDyslexic.
Literatur:
- Johannes Berghausen, Siri Poarangan: decodeunicode – Die Schriftzeichen der Welt (Hermann Schmidt Verlag, 2011)
- Stanislas Dehaene: Lesen (Knaus Verlag, 2010)
- Hans Peter Willberg: Wegweiser Schrift (Hermann Schmidt Verlag, 2003)
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